Die SeniorenUnion hat zusammen mit der FrauenUnion im Neckar-Odenwald-Kreis in Kooperation mit dem CDU-Stadtverband Osterburken hat Sie, meine Damen und Herren, nach Osterburken eingeladen, um in offener Runde darüber zu diskutieren, ob die Auswirkungen des demografischen Wandels für den ländlichen Raum Schicksal ist, oder ob es Möglichkeiten gibt, gegenzusteuern.
Ich gestehe, dass die Initiative bisher einiges an Aufwand gekostet hat. Als Initiator und wir alle im Team sind aber sicher, dass es wichtig war, dass gerade die SeniorenUnion vorausmarschiert, und mit ihr die FrauenUnion. SeniorenUnion deshalb, weil wir – jeder auf seine Weise – Erfahrungen mit den unterschiedlichsten politischen Entwicklungen einbringen können und: weil wir nix mehr werden wollen.
FrauenUnion deshalb, weil gerade die Frauen im Mittelpunkt aller menschlicher Entwicklungen stehen:
Und ich will gleich politisch werden: Mit dieser Thematik kann kein Wahlkampf gemacht werden. Denn dieser ist immer am nächsten Wahltag orientiert. Unsere Thematik, die uns hier und heute zusammenführt, hat nichts mit dem nächsten Wahltag zu tun. Hier muss der Blick auf 20 und 30 Jahre vorausgerichtet werden. Von daher drücken sich viele Politiker in allen Parteien vor dieser Thematik – auch in der, die unser Team vereint.
Aus genannten Gründen haben wir die Thematik zur unseren gemacht.
Es soll versucht werden, die maßgeblichen Kräfte in unserem Raum zu einem Denk- und Handlungspool zusammenzuschließen, der mutig und entschlossen genug ist, Instrumente zum Gegensteuern zu entwickeln und diese an die heranzutragen, die an den Entscheidungsstellen sitzen. – Wir behaupten, dass es diese Instrumente gibt.
Wir haben Sie in unsere Diskussionsrunde eingeladen, weil wir meinen, Sie seien in der Lage, Mitglieder – zumindest Katalysatoren – in diesem „Denk- und Handlungspool“ zu sein.
Die „Metropolregion Rhein-Neckar“ hat als ihre Losung für die von ihr in diesen Tagen veranstaltete Demografiewoche ausgegeben: „Wir werden weniger, älter, bunter und vereinzelter“. Da steckt viel Zündstoff drin. Wenn die Lunte daran gelegt wird, kann offenbar werden, welcher Flächenbrand sich da entzünden kann.
Wir haben hierzu die Frage gestellt, ob wir eher Anhängsel in der „Metropolregion“ sind oder bei der sich abzeichnenden demografischen Entwicklung vielleicht zum Abhängsel in der Nordostecke unseres Landes werden, zu dem noch immer die Abkanzelung „Badisch Sibirien“ gehandelt wird.
Ich will ein paar wenige repräsentative Fakten und untermauernde Zahlen vorstellen, die die eingetretenen und die weiter zu erwartenden demografischen Entwicklungen verdeutlichen.
1. Der Neckar-Odenwald-Kreis hat in den letzten 10 Jahren rund 5.000 Einwohner verloren. Es ist prognostiziert, dass der Kreis in weiteren 10 Jahren die gleiche oder – je nach Annahmen – eine höhere Zahl an Bewohnern verliert. Wenn man sich dies verdeutlichen will: Alle 10 Jahre verschwindet eine Stadt wie Osterburken.
2. Es gibt Dörfer, in denen seit Jahren kein Kind mehr geboren wird. Dies gilt beispielweise für mehrere Stadtteile von Buchen.
3. Ausschnitte aus der „Alterspyramide“ im Neckar-Odenwald-Kreis Ich stelle die Entwicklung von 4 Altersgruppen dar:
0-20 über 80 20-40 40-65
2010: 29.891 8.015 33.796 55.640
2015: 27.535 9.052 33.495 55.295
2020: 25.857 11.037 33.102 53.620
2025: 24.977 11.085 31.745 50.896
2030 24.365 11.657 30.005 47.385
zu 2010 81,51% 145,44 % 88,72 % 85,16%
Auf den ersten Blick mag man zwei Fragen stellen:
a) Woher weiß man das?
b) Was soll das?
Zu a): Die in 20 Jahren Lebenden kennt man. Die sind ganz einfach 20 Jahre älter als jetzt, abzüglich der mathematisch berechenbaren Sterberaten.
- Wer also heute 60 ist, gehört in 20 Jahren zu den „über 80Jährigen“.
- Wer heute 20 ist, gehört in 20 Jahren zu den 40Jährigen.
Zu b) Die in 20 Jahren zu den „im besten Saft Stehenden“ sind zu wenige, die die notwendigen Steuern und Beiträge für die Rentenempfänger und die Infrastruktur zahlen sollen. Und die werden weniger.
Die heute rüstigen 60Jährigen sind in 20 Jahren die 80Jährigen, die Anspruch haben, von den Übrigen versorgt, gepflegt, ausgeführt, gewickelt und geliebt zu werden. Und die werden mehr.
4. Die statistischen Angaben müssen durch zwei besondere Merkmale ergänzt werden:
Die „natürliche“ Statistik und die Statistik unter Berücksichtigung von Zuwanderungen.
Ich vergleiche mal den Neckar-Odenwald-Kreis mit unseren Nachbarkreisen und mit Baden-Württemberg - und nun von 2008, hochgerechnet auf 2020:
2008 2030 o.W. 2030 m.W. o.W. m.W.
Neckar-Odenwald-Kreis 148.763 141.650 137.200 - 7,8 % - 4,8 %
Rhein-Neckar-Kreis 535.284 517.876 488.927 - 8,7 % - 3,3 %
Landkreis Heilbronn 329.743 321.710 313.412 - 5,0 % - 2,4 %
Main-Tauber-Kreis 134.939 126.208 122.856 - 9,0 % - 6,5 %
Hohenlohekreis 109.499 106.348 104.597 - 4,5 % - 2,9 %
Baden-Württemberg 10.749.506 10.373.552 9.989.147 - 7,1 % - 3,5 %
o.W. = ohne Berücksichtigung von Wanderungsbewegungen
m.W. = mit Zuwanderung
Erste Schlussfolgerungen:
a) Wir sollten uns daran gewöhnen, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist und sollten das begrüßen.
b) Durch die statistisch zu erwartenden Zuwanderer sind unsere Zahlen nicht ganz so liederlich.
Ich will Ihnen nun aus den von uns erarbeiteten Kernthesen die wesentlichen vorstellen und erläutern:
Die vorgetragenen Zahlen und unsere Lebenserfahrung machen uns bewusst, dass sich die Verhältnisse in Europa, in Deutschland und in Baden-Württemberg in einem tief greifenden Wandel befinden. Aber: Diese Veränderungen treffen den ländlichen Raum überproportional in ihren Auswirkungen.
1. Ich beginne mit dem Bildungssystem:
- Wenn es in Schulen, die einmal als große Grund- und Hauptschulen gebaut und in der Regel gut ausgestattet worden sind, Klassen mit weniger als 10 Kindern gibt, steht die Existenz solcher Schulen auf dem Spiel.
- Wenn Gemeinschaftsschulen gebildet werden sollen, wird der Aussterbeprozess gewaltig beschleunigt. Die notwendigen Konzentrationen schaffen neue Anforderungen ans Transportsystem.
- Wenn die Universitäten und sonstigen Hochschulen keine Bezüge zum ländlichen Raum mit Ausbildungs- und Praktikantenplätzen haben, werden die Absolventen aus dem ländlichen Raum nicht nur zur Ausbildung sondern endgültig verlassen.
2. Die Wirtschafsstruktur in den ländlichen Räumen ist mittelständisch geprägt. Konzernbetriebe sind eher selten. Die Landwirtschaft hat ihre Bedeutung als tragende ländliche Wirtschaftskraft längst verloren. Die Jungen suchen qualifizierte Arbeitsplätze. Frauen suchen berufliche Qualifikationen.
- Wenn deren Anzahl eine bestimmte kritische Masse nicht erreicht, suchen Betriebe ihre Fachkräfte in der Zuwanderung. Diese setzt aber eine Grundattraktivität des Wohn- und Lebensumfeldes voraus, die im ländlichen Raum nur schwer darstellbar ist.
- Der Landwirtschaft kommt neben der Sicherung der Nahrungsrohstoffe eine erweiterte Rolle im Bereich der Natur- und Landschaftspflege und in industrienahen Leistungsbereichen zu. Das setzt gewisse Konzentrationen voraus, die lange und sichere Verkehrswege benötigen.
3. Zur Grundattraktivität eines Raumes gehört die notwendige Infrastruktur, von der Wasserversorgung bis zum Verkehr.
- Infrastruktur setzt Auslastung durch Nutzer voraus. Wenn diese fehlen, steigen die Kosten.
- Im dezentral angelegten Wirtschafts-, Ausbildungs- und Unterhaltungssystem steigt das Mobilitätsbedürfnis. Es sind Verteilungskämpfe auf diesem Sektor wie bei der Aufrechterhaltung des Bildungssystems zu befürchten.
4. Von hoher Bedeutung ist der im Gang befindliche Auflösungsprozess der Familie und die daraus sich ergebenden Folgewirkungen.
- Wo die Mitglieder von Familien seither zusammenstanden und Wirtschafts- und Notgemeinschaften bildeten, ergeben sich mehr und mehr Leistungsanforderungen an Gemeinde und Staat.
- Da auch hier bestimmte Mindestmassen zusammenkommen müssen, ergeben sich Konzentrationseffekte mit hohen Managementanforderungen an alle Beteiligten.
In der Bewertung der exemplarisch vorgestellten Entwicklungen ergibt sich für uns die schwer wiegende Feststellung, dass die Maxime von den gleichwertigen Lebensverhältnissen in den ländlichen Raum gegenüber den Ballungsräumen immer weniger zutrifft.
Die Rahmenstrukturen in den ländlichen Räumen,
- die gesellschaftlichen (zu denen auch die kirchlichen und sonst sozialen gehören)
- die staatlichen
- und die politischen,
werden den stattfindenden und weiter sich herausbildenden Entwicklungen nicht mehr gerecht. - Deshalb ist Gegenhalten und Gegensteuern wichtig.
Politische Maximen
Ich stelle abschließend einige politische Maximen vor, auf denen dann konkrete Handlungsmaximen aufbauen.
Mein Fazit: Es klingt ja ganz schön und ist auch richtig „Wir werden weniger, älter, bunter und vereinzelter.“ Uns muss es darum gehen, unseren ländlichen Raum als lebens- und liebenswerte Heimat zu erhalten – und zu entwickeln.
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Die Handlungsmaximen lauten hierzu: